Von Katrin Möbius, Fachschaftsleitung Geschichte
Ein besonderes Highlight des Geschichtsunterrichts war der virtuelle Besuch des ehemaligen politischen Häftlings Holger Timmreck.
Für den modernen Geschichtsunterricht sind Zeitzeugengespräche oder Zeitzeugeninterviews ein wichtiges Mittel um Geschichte lebendig zu machen. Zeitzeugen und ihre Geschichten bilden eine neue Form von Quellen, der sich die Schüler zugleich mit Respekt und Kritikfähigkeit nähern müssen. Anders als Akten oder historische Darstellungen können Zeitzeugen persönliche Erfahrungen und Emotionen vermitteln, die die individuelle Geschichte von Menschen wiederspiegeln. Ein Schüler der deutschen Oberstufe arbeitet mit diesen Aussagen vorakademisch, das bedeutet, dass die Zeitzeugenaussagen quellenkritisch gewürdigt und analysiert werden. Die Schüler der ES5 und ES6 haben dieses Ziel in ihrem Oberstufenunterricht in diesem Schuljahr intensiv verfolgt. Ich freue mich daher im Namen der Geschichtsfachschaft, dass unser Zeitzeugenprojekt in dem folgenden Artikel der Schülerin Constanze Erika K. (ES6A) vorgestellt wird.
Gespräch von Herrn Timmreck
Sind seine Erfahrungen wirklich in unserem Gedächtnis gespeichert?
Liebe Schüler, Lehrer und Eltern der Goethe-Schule,
Es gab am Dienstag, 5. Oktober, einen Vortrag des Zeitzeugen Holger Timmreck, der von seinen Erfahrungen mit der Deutschen Teilung berichtete und wichtige Bezüge zu historischen und politischen Ereignissen herstellte. Die Rolle des Zeitzeugen besteht, wie Herr Timmreck gesagt hat, darin, „die authentische Wahrheit“ zu sagen, die wirkliche Geschichte darzustellen und nicht auf die im Internet lauernden Fake News herein zu fallen. Herrn Timmrecks wichtigstes Ziel ist dieses: “Ich möchte nur einen klitzekleinen Platz bei euch erobern, ich möchte nicht nur in eurer Kurzzeitgedächtnis vordringen, sondern ihn in eurem Langzeitgedächtnis erobern“. Ich frage mich, ob er dieses Ziel erreicht hat? Bevor ich meine Meinung zu dieser Frage sage, werde ich den Inhalt seines Vortrags mit dem Titel “Freiheit. Mehr als ein Wort” zusammenfassen.
Der Sportlehrer und Zeitzeuge Holger Timmreck, wurde am 14, Mai 1959 in Pirna in der nähe von Dresden geboren. Er wuchs also in der kommunistischen Diktatur der DDR auf, aber hat auf beiden Seiten der Mauer gelebt. In der DDR wurde ihm im Jahr 1976 aus politischen Gründen ein Sportstudium verwehrt, welches sein Berufswunsch war. Nach einem misslungenen Fluchtversuch über die Tschechoslowakei in die Bundesrepublik mit ein Freund im Jahr 1980 wurde er zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Im Jahr 1981 wurde er von den Tschechen an die Staatssicherheit der DDR in Dresden ausgeliefert. In diesem Moment überkam ihn ein Gefühl von Befreiung, was auf den Titel seines Gespräches verweist. Ich zitiere die Worte von Herrn Timmreck: ,,Ich sitze im Gefängnis bei der STASI und fühle mich eigentlich frei, weil ich nicht mehr lügen muss. Weil ich mich nicht mehr verstellen muss. Weil ich endlich ehrlich sagen kann was ich denke, was ich fühle”. Nach der Entlassung aus der Haft und seinem Freikauf durch die Bundesrepublik erfuhr er von einer Möglichkeit, in einen Studiengang in der BRD aufgenommen zu werden, auf den er sich bewarb und den er auch erhielt. So absolvierte er ein Studium der Sportwissenschaft und Sportpublizistik an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Wie Sie alle wissen, fand am 9. November 1989 das freudigste Ereignis der deutschen Geschichte statt, der Fall der Berliner Mauer. Im Jahr 1991 feierte seine Familie, da sie sich während der Zeit der Teilung nicht gesehen hatte und nun endlich zusammen war. Heute lebt er in Lima/Peru, wo er mit seiner Frau lebt und arbeitet.
Nach dieser Zusammenfassung werde ich über das Ziel des Gesprächs schreiben, das Herr Timmreck sich gestellt hatte.
Um eine Antwort zu geben, die nicht nur meiner eigenen Meinung entspricht, habe ich mich entschieden, auch andere Schüler und meinen Vater zu interviewen, welche auch der Präsentation aufmerksam zuhörten. Ich habe mich dabei auch an das gehalten, was wir in der Vorbereitung auf Zeitzeugengespräche von unserer Geschichtslehrerin Frau Möbius gelernt hatten, wie wichtig Zeitzeugen für die Mikrogeschichte oder die persönlichen Emotionen bei geschichtlichen Ereignissen sind.
Ich habe allen meinen Interviewpartnern die gleichen drei Fragen gestellt. Hatten Sie das Gefühl, dass das Gespräch von Herzen kam? Wie ist Ihre allgemeine Meinung zu dem Gespräch? War der Vortrag wirklich ein Vortrag oder eher eine Präsentation? Ein Schüler glaubte dass es sich eher um eine historische Präsentation handelte, weil ja auch Herrn Timmreck selbst erwähnte, dass sein Vortrag viele historische Fakten enthielt. Der andere Schüler hielt den Vortrag dagegen für informativ und emotional zugleich. Während des Gesprächs wurden fünf Videos gezeigt, welche unterschiedliche Meinungen auslösten. Einige Hörer, wie Herrn Krämer, unser stellvertretender Schulleiter, der auch das Zeitzeugengespräch organisiert hatte, meinten, dass „die Videos die Geschichte greifbarer machen“. Alle waren sich einig, dass vor allem die persönlichen Erlebnisse und Emotionen des Zeitzeugen sie berührt und nachdenklich gemacht haben.
Vor allem sein Bericht über seine Haftzeit und seine Gefühle im Gefängnis und während der Verhöre hat mich beeindruckt.. Ich glaube, dass es den anderen Schülern auch so ging. In mehreren meiner Interviews erwähnten sie, dass sie sich an die vielen präsentierten Daten und Fakten nicht mehr so genau erinnerten, aber an seine Emotionen sehr gut. Ich möchte die Worte einer Mitschülerin zitieren; „Woran ich mich nach dem Gespräch vor allem erinnere, waren die Gefühle von Herrn Timmreck im Gefängnis.“ Wir hätten uns noch mehr von seiner persönlichen Geschichte und seinen Gefühlen gewünscht. Schließlich waren wir als Schüler der 11. und 12. Klasse einer deutschen Schule gut auf den Vortrag vorbereitet und kannten den historischen Hintergrund der Geschichte von Herrn Timmreck. Daher waren die historischen Fakten, die Herr Timmreck uns gezeigt hat, nicht so neu für uns. Seine persönliche Geschichte und seine Gefühle haben uns aber sehr interessiert und auch bewegt und uns auch dazu gebracht uns noch mehr mit dem Thema zu beschäftigen.
Trotz dieser kleinen Kritik lässt sich abschließend sagen, dass Herrn Timmrecks Ziel, in unserem Langzeitgedächtnis zu bleiben, sehr gut erfüllt wurde. Wir werden uns sicher noch lange an sein leben und das, was die Diktaturen ihm angetan haben, erinnern. Wie mein Vater sagte: „Erinnerungen sind stärker und beständiger, wenn sie von Herzen erzählt und nicht von einem Blatt Papier gelesen werden.“ Die Erinnerung an seine Erlebnisse in der Haft blieb in unserem Gedächtnis, da dieser Teil des Gesprächs aus Herrn Timmrecks Herzen erzählt wurde.