Am 8. Mai haben wir in der Goethe-Schule des Endes des Zweiten Weltkriegs gedacht – seit dem Ende des Nazi-Regimes sind nunmehr 78 Jahre vergangen, dies ist beinahe ein ganzes Menschenleben. Wenn man sich überlegt, was für ein unfassbares Glück es ist, in der heutigen Zeit zu leben, wird einem gleichzeitig an solchen Gedenktagen klar, dass Freiheit, Frieden und Sicherheit nichts Selbstverständliches sind und eine geglückte Zukunft nicht für alle Menschen eine Normalität ist. In Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung begannenn wir den Tag nicht nur mit einem von Schülerinnen und Schülern vorbereiteten „Acto”, sondern auch mit einem Zeitzeugengespräch mit der Holocaustüberlebenden Ruth Marshall.

Einige Schülerinnen und Schüler schreiben in diesem Artikel über ihre Eindrücke und Ideen dieses Tages:

Annamaria B. 6° B:

Das Gespräch mit Ruth Marshall war mitreißend. Zunächst hat sie über ihre Familie erzählt. Sie wurde in Wien geboren und besuchte dort eine öffentliche Schule, bis die Nazis dies verboten. Ihr Vater war Rechtsanwalt und ihre Mutter hatte ein Textilgeschäft. Nach der Kristallnacht entschied sich ihre Mutter, sie nach England zu schicken, da es zu gefährlich war, in Wien zu bleiben. Ruth erzählte, wie schwer ihr das Leben in England gefallen war, da sie damals kein Englisch sprach und alle ihre Freunde zurückgelassen hatte. Ihr Vater floh nach Frankreich. Nach einigen Monaten konnte sich die Familie in England wiedervereinigen und reiste mit dem Boot nach Argentinien. Als sie dort ankam, musste sie sofort anfangen zu arbeiten, da sie alles hinter sich gelassen hatte. Leider durfte der Vater nicht als Anwalt arbeiten, da er kein Spanisch sprach. In Argentinien hatte Ruth das gleiche Problem wie in England – die Sprachbarriere.

Ich habe sie gefragt, wo sie sich zuhause fühlt, da sie uns zuvor erzählt hatte, wie schwer es ihr gefallen war, Wien und ihre vertraute Umgebung zu verlassen. Sie sagte, dass sie sich in Argentinien zuhause und wohl fühlt. Das zu hören war für mich sehr schön. Argentinien ist ein sehr vielfältiges Land und seitdem ich selbst hierher gezogen bin, habe ich mit vielen Einwanderern gesprochen. Alle haben darüber berichtet, wie wohl und willkommen sie sich hier fühlen.

Max B. 5° A:

In den letzten Wochen haben wir mit einigen Mitschülern aus verschiedenen Klassen zusammengearbeitet, weil wir die Gelegenheit hatten, eine Frau zu interviewen, die den Holocaust überlebt hat. Bei diesem Interview, bei dem wir ihr viele Fragen stellen konnten, haben wir viel gelernt und sie hat detailliert von ihren Lebenserfahrungen berichtet. Was für mich bleibt, ist: Diese Frau ist sehr stark und gibt uns Botschaften für das Leben mit auf den Weg, wie zum Beispiel den Gedanken, dass die Diskriminierung abzulehnen ist. Gewalt und Diskriminierung führen zu den schlimmsten Taten, und es ist sehr wichtig, dass wir dies verhindern, um frei leben zu können.

Franco L. 5° A:

Mir war es wichtig, auch im Acto zu zeigen, dass der 8. Mai ein Tag der Mahnung ist. An diesem Tag wird uns intensiv vor Augen geführt, was in einer Demokratie passieren kann, wenn wir, die Bürgerinnen und Bürger, vergessen, wie wichtig Respekt voreinander ist. Mir ist sehr wichtig zu sagen, dass es menschenunwürdig ist, wenn heutzutage Jugendliche in humoristischer Art und Weise Ableitungen des Wortes „Nazi“ benutzen, um sich stark zu fühlen. Zwischen den Jugendlichen verbreitet sich dieser jugendliche Ausdruck immer mehr als eine vermeintlich coole und junge Ausdrucksform. Während der Sitzung haben wir Ruth nach ihrer Meinung zu diesem Phänomen gefragt, und sie hat klar gesagt, dass sie es auf keinen Fall richtig findet und dass es sie ärgert, da man mit dem Leiden von Menschen nicht scherzen darf.

Valentina J. 5° B:

Nachdem wir mit Ruth Marshall gesprochen haben, glaube ich, dass es manche Angelegenheiten gibt, die ich nicht vergessen darf: Zum Ersten bin ich der Meinung, dass man die Menschenrechtsverletzung in ihrer Erzählung betonen muss. Diese Frau hat unter politischer Repression, einem Verlust der Freiheit und unter Rassismus gelitten. Ein weiterer wichtiger Aspekt, den ich beeindruckend fand, ist der Mut und die Willenskraft dieser Überlebenden. Die ständigen Veränderungen, Wohnortwechsel und Unsicherheiten in ihrem Leben waren die Ursache für viele Krankheiten. Trotz dieser Leiden war Ruth Marshall in der Lage, uns ihre Geschichte zu erzählen.

Erarbeitet und begleitet wurde dieses Projekt von Paula Gómez und Katrin Möbius in den Fächern Gemeinschaftskunde und Geschichte aus dem Fachbereich DFU (Deutsch im Fachunterricht). Es nahmen Schülerinnen und Schüler der Klassen ES2, ES5A und ES6B teil. Einen besonderen Dank richten wir an Ruth Marshall und die Konrad-Adenauer-Stiftung, die uns unglaublich interessante Einblicke in eine sehr persönliche Überlebendenbiografie ermöglicht haben.